Historischer Ort

Das „KdF-Seebad der Zwanzigtausend“

Die Ostküste Rügens mit ihrem breiten weißen Strand und den alten Kiefernwäldern veränderte sich in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die “NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude” baute an der Prorer Wiek eine 4,7 km lange Gebäudezeile, bestehend aus acht Blöcken mit einer Länge von jeweils fast 500 m, das “KdF-Seebad Rügen”.

Das Seebad sollte 20000 Betten haben. Hier sollte sich die imaginierte „Volksgemeinschaft“ im Urlaub treffen, das heißt jene Deutschen, die in der pseudobiologischen Diktion „deutschen Blutes“ seien und sich, zumindest nach außen hin, NS-nah gaben. Für jene, die aus dieser „Gemeinschaft“ angeblich gleicher Menschen mit gleichen Interessen ausgeschlossen wurden, winkte kein Urlaub, sondern schlimmstenfalls das Konzentrationslager.

„Kraft durch Freude“ war eine Unterorganisation der „Deutschen Arbeitsfront“, ihre Hauptaufgabe war die umfassende Organisation der Freizeit der Deutschen, insbesondere die Urlaubsgestaltung.

Der Führer der „Deutschen Arbeitsfront“, Robert Ley, betonte immer wieder, Hitler selbst habe die Idee gehabt, fünf große „KdF-Bäder“ zu bauen. Allerdings wurde nur in Prora mit der Realisierung dieser Idee begonnen. Anfang 1936 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 11 Architekten beteiligten. Es gab klare Bauvorgaben: Alle Zimmer sollten auf das Meer gehen. Eine Festhalle sollte 20.000 Menschen aufnehmen können. Hitler selbst entschied angeblich zu Gunsten des Entwurfs des Kölner Architekten Clemens Klotz. Die zentrale Festhalle für das Seebad sollte nach der Planung von Erich zu Putlitz ausgeführt werden.

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Architekturperspektive nach dem Entwurf von Clemens Klotz, 1936
(Quelle: „Illustrierte Zeitung“)

Modell der Anlage, 1936

Modell der Anlage, 1938 (Quelle: „Arbeitertum“)

Am 2. Mai 1936, am dritten Jahrestag des „Sturms auf die Gewerkschaften“, an dem die deutschen Gewerkschaften von den Nationalsozialisten zerschlagen worden waren, fand die Grundsteinlegung statt. Es war eine Großveranstaltung, die im Radio übertragen wurde. Kriegsmarine und Luftwaffe nahmen teil. Robert Ley hielt die Hauptrede.

Im April 1938 begann der Hochbau mit den Arbeiten an den Fundamenten. Bis zum Sommer 1939 wurden die so genannten Bettenhäuser, d.h. die zum Strand parallelen Unterkunftshäuser, und die Platzrandbebauung in der Mitte im Rohbau fertig gestellt. Mit Kriegsbeginn 1939 wurden die Bauarbeiten eingestellt, da die Baufirmen zu kriegswichtigen Bauten abgezogen wurden.

1940 und 1941 wurden mehrere Polizeibataillone, Einheiten zu je ca. 800 Polizisten, in Prora ausgebildet und von dort zu Einsätzen hinter den Fronten in ganz Europa abkommandiert. Von 1942 bis Kriegsende nutzte man die „Gefolgschaftsunterkünfte“ zur Ausbildung junger Mädchen und Frauen zu Nachrichtenhelferinnen der Kriegsmarine, 1944 wurde ein Lazarett eingerichtet. Diese Nutzung war bereits in den Ausschreibungsunterlagen für den Architekturwettbewerb vorgesehen gewesen.

Bei Kriegsende nutzte man Prora als Flüchtlingslager, Ende 1945 bezogen Truppenteile der sowjetischen Armee die bewohnbaren Gebäude. Ab 1952 wurden die Gebäude für die „Kasernierte Volkspolizei“ ausgebaut, aus der 1956 die „Nationale Volksarmee“ (NVA) der DDR hervorging. Die NVA nutzte Prora bis 1990 als Kaserne und für militärtechnische Schulen. Bis 1991 blieb das Gelände des ehemaligen „KdF-Seebades“ militärisches Sperrgebiet. Die NVA übergab es nach der Wende an die Bundeswehr, die es bereits 1991 wieder verließ.

Prora nach 1989

1991, als die Bundeswehr Prora verließ, war das Grundstück Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Die Finanzbehörden versuchten seit der Räumung, Prora unter kommerziellen Gesichtspunkten zu vermarkten.

Seeseite der Bettenhäuser

Seeseite der Bettenhäuser, 2006 (Fotos: Dokumentationszentrum Prora)

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Portikus am Empfangsgebäude

1994 wurde Prora unter Denkmalschutz gestellt, in der Denkmalwertbegründung heißt es: „Das Architekturensemble Prora … sollte das größte Seebad der Welt werden. … Seine Stahlbetonskelettbauweise zeugt von der technischen Leistung der 1930er Jahre, dadurch ist es ein wichtiges Zeugnis für die Arbeits- und Produktionsverhältnisse der Entstehungsgzeit. …“

Die Blöcke 1 und 2wurden 2006 an private Investoren verkauft, Block 3 2005, Block 4  2011, die dort Hotels, Ferienwohnungen, Wellness- und Sportanlagen errichten. 2012 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, 2014 wurden die ersten Wohnungen bezogen. 2023 sind die Blöcke 1, 2 und 4 fertig saniert und bezogen, Block 3 zu vier Fünfteln. Nur der südliche Teil von Block 5, neben der Jugendherberge, ist noch unsaniert, wurde aber auch 2019 an einen privaten Investor verkauft. Dessen Sanierung begann 2022. Auch die Ruinen des heutigen Blocks 7 wurden bereits 2004 an einen Investor aus Liechtenstein verkauft und 2020 weiterverkauft, obwohl dort nach aktuellem Bebauungsplan nicht gebaut werden darf.

Im nördlichen Abschnitt von Block  wurde im Juli 2011 eine neue Jugendherberge mit 424 Betten eröffnet.

Historische Karte mit den Planungen von 1936 und rechts Karte der 1990 erhaltenen Bauabschnitte. (Quelle: Links Meyers Großer Hausatlas, 1938, rechts Dokumentationszentrum Prora)